Soziale Kompetenzen gewinnen in der medizinischen Praxis zunehmend an Bedeutung. Soziale Kompetenzen gehen nicht nur mit akademischem und beruflichem Erfolg einher. Sie haben auch positive Auswirkungen auf die Genesung der Patient*innen und das psychische Wohlbefinden.
Der ärztliche Beruf erfordert ein hohes Maß an täglichen Interaktionen mit unterschiedlichen Menschen wie Kolleg:innen, Patient:innen oder deren Zugehörigen. In diesen Interaktionen sind gute soziale Kompetenzen sehr wichtig: Patient:innen befinden sich während ihrer Arztbesuche in der Regel in hilfesuchenden und emotional unsicheren Situationen. Den Patient:innen empathisch zu begegnen, sich in den richtigen Momenten aber auch durchsetzen zu können, sind wichtige Aspekte der ärztlichen Gesprächsführung. Darüber hinaus kann der medizinische Alltag sehr stressig sein, zum Beispiel durch ein hohes Patient:innenaufkommen. Hierbei ist es unerlässlich auch mit gereizten Patient:innen gelassen zu bleiben. Somit sind soziale Kompetenzen, individuelle Unterschiede darin, wie gut es Personen gelingt, bestimmte Verhaltensweisen zu zeigen, wenn es die Situation erfordert, welche effektives Handeln in zwischenmenschlichen Situationen fördern.
Soziale Kompetenzen unterscheiden sich von kognitiven Kompetenzen wie kritischem Denken und von intrapersonellen Fähigkeiten wie Zeitmanagement. Sie sind außerdem abzugrenzen von Persönlichkeitseigenschaften (wie sich eine Person normalerweise im Alltag verhält; typical performance). Soziale Kompetenzen beschreiben vielmehr, zu welchem Verhalten eine Person in der Lage ist, wenn die Situation es verlangt (maximum performance). Beispielsweise kann eine introvertierte Person, die in sozialen Situationen eher zurückhaltend ist, trotzdem die soziale Kompetenz haben, sich gegen ihre Kolleg:innen durchzusetzen, wenn es die Situation verlangt.
An der medizinischen Fakultät der Universität Münster reflektieren und trainieren Studierende ihre sozialen Kompetenzen in verschiedenen Settings. Dieses Vorgehen dient dem Ziel, auch mit schwierigen zwischenmenschlichen Situationen umgehen zu lernen, somit ein adäquates ärztliches Handeln zu ermöglichen und letztendlich den Patient:innen bestmöglich helfen zu können. In enger Zusammenarbeit mit Center for Social Skills (CeSoS) der Universität Münster verwenden wir ein innovatives Konzept zur Unterteilung und Erfassung sozialer Kompetenzen. Hierbei fokussieren wir auf drei klar unterscheidbare soziale Kompetenzen:
Diese Kompetenzen fungieren als „Umbrella Terms“ und umfassen jeweils verschiedene soziale Kompetenzen, die für den medizinischen Kontext relevant sind.
Alle drei Kompetenzen haben jeweils Voraussetzungen die erfüllt sein müssen für ihre Anwendung. Personen müssen in der Lage sein, die situativen Anforderungen für soziale Kompetenzen zu erkennen und in der Lage sein bestimmte Verhaltensweisen wie rhetorische Fähigkeiten zu zeigen.
Agency Skill ist ein Sammelbegriff für Kompetenzen wie
Personen mit hoher Ausprägung in Agency Skill, gelingt es, durchsetzungsstarkes, selbstsicheres, entschlossenes und energisches Verhalten zu zeigen, wenn es die zwischenmenschliche Situation erfordert.
Situationen, die Agency Skill erfordern, sind zum Beispiel:
Agency Skill zeigt sich im Verhalten sowohl auf nonverbaler Ebene (z.B. selbstsichere Mimik, Gestik und Körperhaltung) als auch auf paraverbaler Ebene (z.B. laute und deutliche Stimme) sowie verbaler Ebene (z.B. aktive Übernahme der Gesprächsführung).
Communion Skill ist ein Sammelbegriff für Kompetenzen wie
Personen mit hoher Ausprägung in Communion Skill, gelingt es, warmherziges, freundliches und mitfühlendes Verhalten zu zeigen, wenn es die zwischenmenschliche Situation erfordert.
Situationen, die Communion Skill erfordern, sind zum Beispiel der Umgang mit:
Communion Skill zeigt sich im Verhalten sowohl auf nonverbaler Ebene (z. B. freundlich zugewandte Gestik und Mimik) als auch auf paraverbaler Ebene (z. B. aktives Zuhören).
Interpersonelle Resilienz ist ein Sammelbegriff für Kompetenzen wie
Personen mit hoher Ausprägung in interpersoneller Resilienz, gelingt es, gelassenes, entspanntes und emotional ausgeglichenes Verhalten zu zeigen, wenn es die zwischenmenschliche Situation erfordert.
Situationen, in denen interpersonelle Resilienz wichtig ist, sind zum Beispiel:
Interpersonelle Resilienz zeigt sich im Verhalten sowohl auf nonverbaler Ebene (z. B. entspannte Sitz-/Stehposition, kein nervöses Anfassen) als auch auf paraverbaler Ebene Verbale (z. B. keine wiederholten Aussagen zur Rechtfertigung tätigen).
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